Inhaltsverzeichnis

1Rahmenbedingungen 2

1.1Einleitung 2

1.2Psychomotorik und Sensorische Integration 3

1.3Darstellung der Praxis 4

1.4Räumlichkeiten der Praxis 4

2Sachanalyse 6

2.1Kurze Beschreibung des Phänomens Hyperaktivität 6

2.2Ursachen von Hyperaktivität 7

2.3Diagnose und Behandlungsstrategien 9

3Praxistätigkeit 11

3.1Vorstellung eines Beispielfalles 11

3.2Hospitationsphase 13

3.2.1Allgemeiner Ablauf 13

3.2.2Die ersten Tage 15

3.2.3Hospitation bei einem hyperaktiven Kind 19

3.2.4Auswertung der Hospitationsphase 22

3.3Assistenzphase 23

3.3.1Allgemeine Ablauf 23

3.3.2Außenkontakte 24

3.3.3Assistententätigkeit an einem Beispielfall 26

3.3.4Auswertung der Assistenztätigkeit 28

3.4Kotherapeutische Phase 29

3.4.1Allgemeines 29

3.4.2Persönliche Erfahrungen mit kotherapeutischer Tätigkeit in der Psychomotorik 30

3.4.3Auswertung der kotherapeutischen Arbeit 32

4Bewertung des Praktikums 32

4.1Auswertung meiner Tätigkeit 32

4.2Psychomotorik/ Sensorische Integration bei hyperaktiven Kindern 32

4.3Praktikumsort und Betreuung 33

4.4Zusammenfassung 34

5Literaturliste 34

Praktikumsbericht



1Rahmenbedingungen

1.1Einleitung

Mein Praktikum absolvierte ich vom 01. März bis zum 31. August 1998 in der Kinderarztpraxis Dr. Hartwig in Neukölln. Schon 1995 lernte ich diese Praxis kennen, Dr. Hartwig hatte im Sommersemester ’94 und im Wintersemester ‘94/95 Seminare zum Thema Entwicklungsabweichungen bei Kindern angeboten und in diesem Rahmen auch Einblick in seine Arbeitsweise gewährt; weiterhin bot er an, ein Semester lang im therapeutischen Bereich der Praxis drei- bis vier Stunden wöchentlich zu hospitieren und eigene Anregungen einzubringen. Mich interessierte besonders die therapeutische Arbeit im Wasser, und ich bekam die Gelegenheit, wöchentlich drei Stunden psychomotorische Förderung im Wasser zu beobachten. Mehr und mehr konnte ich mich einbringen, mitarbeiten, und ich konnte weiterhin daran teilnehmen.

Im Januar 1998 suchte ich einen Praktikumsplatz im Bereich Frühförderung, Körperbehinderung, Verhaltensauffälligkeiten. Ich bekam und nutzte das Angebot, in dieser Praxis ein Praktikum zu machen, um mehr über konkrete psychomotorische Entwicklungsförderung bei Klein- und Schulkindern zu erfahren sowie Handlungskompetenz in diesen Bereichen zu erlangen.

Schon vor dem eigentlichen Beginn des Praktikums besprachen Dr. Hartwig und ich, wie das Praktikum konkret gestaltet werden sollte. Für die ersten Wochen wurde mir eine vor allem beobachtende Rolle zugedacht, täglich sollte die Klärung von eventuellen Fragen ermöglicht werden; weiterhin sollte ich mich nach und nach beteiligen, eigene Ideen einbringen. Wichtig war auch, selbst Erfahrungen mit den Materialien, Räumen, Therapien zu sammeln. Einmal wöchentlich sollte eine Stunde für Grundlagen, Theorien und Therapieansätze zur Verfügung stehen, gleichfalls wöchentlich einmal war auch eine Stunde für die Klärung schwierigerer Fragen und für allgemeine Rückmeldung angedacht.

Wir legten einen Stundenplan für die erste Woche fest, ich sollte in dieser Woche einen möglichst breiten Einblick in die psychomotorisch ausgerichtete Arbeitsweise dieser Praxis bekommen, mir von allen Therapeuten einen ersten Eindruck machen können; auch war uns wichtig, daß ich herausfinde, in welchen Bereichen ich mich besonders gut einbringen könnte.

Da in dieser Praxis psychomotorisch ausgerichtete Therapieformen einen hohen Stellenwert haben, möchte ich an dieser Stelle zum besseren Verständnis den Begriff “Psychomotorik" etwas näher betrachten.

1.2Psychomotorik und Sensorische Integration

“Der Begriff ‘Psychomotorik’ kennzeichnet die funktionelle Einheit psychischer und motorischer Vorgänge, die enge Verknüpfung des Körperlich- Motorischen mit dem Geistig- Seelischen” (Zimmer/Cicurs S.33). Laut Pschyrembel 1986, S.1382 ist Psychomotorik die “Gesamtheit der durch psychische Vorgänge geprägten Motorik (...)”. Kiphard versteht unter Psychomotorik “eine spezifische Methodik, welche die Identität körperlich- motorischer und psychischer Prozesse zur Grundlage therapeutischen Handelns macht” (Kiphard 1984, S.49 in: Stehn/Eggert 1987, S.9). “Psychomotorische Erziehung geht davon aus, daß erst durch vielseitige Bewegungs- und Wahrnehmungserfahrungen die Grundlagen für eine harmonische Persönlichkeitsentwicklung geschaffen werden” (Zimmer/Cicurs s.34). In diesem Sinne sollen durch psychomotorische Förderung Handlungskompetenzen in den Bereichen Wahrnehmung, Bewegung, Emotionen und soziale Interaktion aufgebaut werden.

Nach dem Ansatz der “Sensorischen Integration” von Jean Ayres ist die Qualität der psychischen und physischen Entwicklung abhängig von der sinnvollen “Ordnung und Aufgliederung von Sinneserregung (...)” (Jean Ayres S.260). “Durch die Sensorische Integration wird erreicht, daß alle Abschnitte des Zentralnervensystems, die erforderlich sind, damit ein Mensch sich sinnvoll mit seiner Umwelt auseinandersetzen kann und eine angemessene Befriedigung dabei erfährt, miteinander zusammenarbeiten” (ebenda). Das Kind folgt seinem inneren Drang zur Entwicklung seiner Erlebniswelt, Fähigkeiten wie Krabbeln, Stehen, Laufen, Klettern u.s.w. entstehen von selbst. Schon erlernte Fähigkeiten bilden “Bausteine” für eine komplexe, reifere Entwicklung.

In der Behandlung nach der Sensorischen Integration werden nicht etwa spezifische Fähigkeiten wie Lesen oder Schreiben gefördert. Das Kind “soll lernen, sein Gehirn zu ordnen, so daß es besser arbeiten kann” (Jean Ayres S.67); ein verbessertes Zusammenspiel der Reizverarbeitung der verschiedenen Sinnesorgane erleichtert dem Kind das Lernen überhaupt; im Idealfall ist dann das Trainieren von Teilfähigkeiten überflüssig.

Symptome einer Störung der sensorischen Integration sind:

1.3Darstellung der Praxis

Wie schon erwähnt, liegt die Kinderarztpraxis Dr. Hartwig in der Neuköllner Karl-Marx-Straße. Neukölln ist ein Bezirk mit starken Gegensätzen in der Bevölkerungsstruktur, Einkommen und Bildungsniveau sind relativ niedrig, es gibt einen sehr hohen Anteil an Mitbürgern nichtdeutscher Herkunft, was sich auch in der Klientel dieser Praxis widerspiegelt: viele Kinder entstammen einem anderen Kulturkreis, haben eine andere Muttersprache, und besonders ihre Eltern sprechen manchmal nur wenig Deutsch, was die Kommunikation, die Arbeit mit Kindern und Eltern oft erschwert.

Die Praxis folgt einem multidisziplinären, psychomotorischen Ansatz; deshalb arbeiten hier Pädiater, Krankengymnastinnen, eine Pädagogin, ein Motologe, Psychologen, eine Familientherapeutin zusammen, um eine enge, schnelle Rückkopplung zu ermöglichen und einen großen Teil der Umwelt des Kindes mit einbeziehen zu können. Besonders wichtig sind Elterngespräche und Kontakte zu Kitas und Schulen; das bedeutet für die Mitarbeiter auch, in Schulen und Kitas zu gehen, die Kinder in diesem Umfeld zu beobachten und mit Erziehern und Lehrern Handlungsmöglichkeiten zu erörtern. Unser Ansatz impliziert auch eine enge Kooperation mit Ämtern, externen Therapeuten und Institutionen. Zum Beispiel arbeiten wir mit einer Psychologin, die ausgebildete Psychotherapeutin ist, und mit einer anderen psychomotorisch geprägten Krankengymnastik- Praxis zusammen. Kinder werden dorthin empfohlen, wenn die Kapazität unserer Einrichtung erschöpft ist.

Je nach Alter des Kindes, seinen besonderen Fähigkeiten und seinem Förderbedarf wird die Therapie aufgebaut; dem psychomotorischen Ansatz entsprechend wird meist, gerade bei kleineren Kindern, mit einer Einzelsituation begonnen, um die Entwicklung von basalen Fähigkeiten zu fördern. Später wird durch Gruppenarbeit auch die soziale Komponente eingebracht.

1.4Räumlichkeiten der Praxis

Die Praxis liegt in der ersten Etage, sie ist mit dem Fahrstuhl erreichbar. Die Anmeldung und der Wartebereich befinden sich in einem großen, offenen, unregelmäßig geschnittenen Raum. Wie üblich gibt es eine Spielecke, Kinderbücher, Zeitschriften, Informationsblätter liegen aus. Von dort gehen zwei pädiatrische Untersuchungs- und Behandlungsräume aus. Weiterhin gibt es ein privates Zimmer für Dr. Hartwig, eine Küche und Toiletten mit Wickelmöglichkeiten. Für die psychomotorische Behandlung stehen hier zwei Räume zur Verfügung: ein kleiner Raum (etwa 10m2) zur basalen Stimulation und für die Förderung der sensorischen Integration. An Materialien wären eine Bohnenkiste, mehrere Turnmatten, eine Tonne, Schwungtuch, ein Spiegel, eine Jean-Ayres-Schaukel zu nennen. In diesem Raum werden meist Babys und kleine Kinder in Einzelsituationen behandelt; oft werden auch Creme und Wasser zur Bereicherung der taktilen Wahrnehmung genutzt. Der zweite Raum ist etwa doppelt so groß; er bietet Platz genug für Einzel- und Zweiersituationen. Mit einer verstellbaren Sprossenwand, einer großen, klappbaren Turnmatte, Stapelkisten, Rollbrettern, einer großen Hängematte, Knautschsäcken ist er sehr variabel.

Im Seitenflügel des Hauses wurden zwei Räume angemietet; mit seinen 40 m2 ist der Größere geräumig genug für Vierergruppen. An sensomotorischen Anregungsmaterialien sind neben verstellbarer Sprossenwand, einer sehr großen Matte, mehreren kleinen Matten, verschiedenen Tonnen und einem Trampolin vor allem eine riesige Hängematte und ein in den Raum gehängtes Fischernetz zu nennen. Dieser Raum ist aufgrund seiner hohen Veränderbarkeit gleichermaßen geeignet für die Förderung verschiedener Sinneserfahrungen wie auch von Sozialkompetenz. Da er sich vollständig abdunkeln läßt, somit die oft dominierenden visuellen Reize ausgeschaltet werden können, sind hier besondere Gleichgewichts- und Raumlageerfahrungen möglich.

Ebenfalls im Seitenflügel gibt es einen kleinen, reizarmen Raum mit Tisch und zwei Stühlen, in dem Tests (meist PET und HAWIK-R) und zum Teil auch Elterngespräche durchgeführt werden.

Zweimal wöchentlich kann eine Turnhalle in der Nähe genutzt werden, um Gruppen von vier bis sechs Kindern im Schulalter mehr Raum zu geben. In diesem Rahmen sind vor allem die Erweiterung der sozialen Handlungskompetenz von Bedeutung, die Spiegelung des eigenen Verhaltens bei sofortiger Rückkopplung durch andere Kinder und den Therapeuten. Das Verhalten kann im sozialen Kontext geregelt werden, die soziale Wahrnehmung führt zu sozialem Verhalten. Ihre Aufmerksamkeitsstörung ist die Ursache für Wahrnehmungsdefizite; in diesem kontrollierten, vorbereiteten Umfeld lernen die Kinder, ihre Umwelt differenziert wahrzunehmen. Selbstverständlich können auch in diesem Raum motorische und sensomotorische Kompetenzen aufgebaut werden.

Wie oben schon erwähnt, kann einmal wöchentlich ein Behindertenschwimmbecken in einer Krankengymnastikpraxis für drei Stunden genutzt werden. Es soll hier die Integration von Sinneserfahrungen in einem anderen Medium ermöglicht werden, weiterhin soll auch die Interaktionsfähigkeit innerhalb einer Gruppe verbessert werden. An Material stehen verschiedene Schwimmhilfen, Airex- Matten, Gießkannen, Eimer u.s.w. bereit, so daß wir auch hier sehr differenziert auf die besonderen Fähigkeiten und Bedürfnisse einzelner Kinder eingehen können. Durch die Beschränkung auf den Vormittag können nur Kinder im Vorschulalter in das Schwimmbecken kommen; in der Regel sind vier bis sechs Kinder im Wasser.

2Sachanalyse

In meinem Praktikum war ich fast ausschließlich in den therapeutischen Bereichen der Kinderarztpraxis tätig; deshalb beschränken sich meine Eindrücke und erlernten Kompetenzen auf dieses Umfeld. Da ein großer Teil der Kinder, die längerfristig in psychomotorischer Behandlung sind, Aufmerksamkeitsstörungen, motorische Unruhe, Teilleistungsstörungen, Verhaltensstörungen aufweisen und somit im alltäglichen Sprachgebrauch als “hyperaktiv” gelten, möchte ich mich in meinem Bericht vor allem mit dem Thema Hyperaktivität auseinandersetzen.

2.1Kurze Beschreibung des Phänomens Hyperaktivität


Hyperaktivität ist ein Syndrom, welches in der Literatur vielfältig, aber sehr unterschiedlich diskutiert wird. Darum möchte ich zuerst eine zusammenfassende Symptombeschreibung, gestützt auf meinen Erfahrungsbereich, geben.

Es gibt Kinder, die durch einen Überschuß ihrer motorischen Bewegungen, Aufmerksamkeitsstörungen, mangelnde Impulskontrolle, inadäquate emotionale Reaktionen auffallen. Oft sind solche Kinder schon als Baby unruhig, schreien viel und sind nicht in der Lage, sich auch über kürzere Zeiträume selbst zu beschäftigen. Sie lernen schneller als andere Kinder stehen und laufen, während die Krabbelphase kurz ist oder ganz übersprungen wird. Sehr bald rennen sie, sind immer in Aktion, kaum zu bremsen und sehr impulsiv. Die Sprachentwicklung beginnt oft früher als bei anderen Kindern, häufig haben sie einen großen Wortschatz bei zum Teil schlechter Aussprache. Aufgrund ihrer schlechten Koordination und ihrer Geleichgewichtsprobleme sind sie, in Verbindung mit mangelnder Gefahreneinschätzung,öfter in Unfälle verwickelt als ihre Altersgenossen.

Auch in sozialen Belangen brauchen sie starke Reize; im Umgang mit anderen führt das oft zu Ablehnung, sie sind häufig in Außenseiterrollen zu finden.

In der Schule dann werden die Besonderheiten dieser Kinder zu einem massiven Problem: Je mehr Mitschüler in der Klasse sind, desto aufgedrehter, provokativer werden sie. Ihre schlechte Feinmotorik, die mangelnde Impulskontrolle und die kurze Aufmerksamkeitsspanne erschweren ihnen das Schreibenlernen, Malen, Schneiden. Solche Mißerfolge lassen sie die Anerkennung auf andere Weise suchen; viele sind bald der Klassenclown oder Anführer einer Gruppe. Sie sind vergesslich, das systematische, vollständige Erfassen einer Aufgabe bereitet ihnen Schwierigkeiten. Mit steigenden Anforderungen an Konzentration und höherer Komplexität der Aufgaben wachsen die Probleme und so auch die Auffälligkeiten der Kinder. Viele wechseln in Schulen für Verhaltensauffällige oder Lernbehinderte, haben Schwierigkeiten, einen Abschluß zu schaffen. Bei Erwachsenen findet man überdurchschnittlich Delinquenz und Depressivität.

Bei allen ihren Besonderheiten gibt es zwei positive Eigenschaften, die bei allen dieser Kinder auffallen: “ Es besteht eine spontane und ausgeprägte Hilfsbereitschaft und Fürsorglichkeit, wenn die Hilfsbedürftigkeit eines Menschen gesehen wird” (Neuhaus S. 41). Sie haben auch einen “ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, nicht nur für sich, sondern auch für andere” (ebenda).

Diese Auffälligkeiten treten nicht bei allen Kindern auf, auch ist die Ausprägung dieser Symptome sehr unterschiedlich; wie oben schon erwähnt, werden diese Menschen im allgemeinen Sprachgebrauch aufgrund des für die Umwelt prägnantesten Besonderheit als hyperaktiv bezeichnet.

2.2Ursachen von Hyperaktivität

Hyperaktivität gilt je nach Betrachtungsweise als ein Syndrom, bei dem sich Ursache und Wirkung nicht klar aufeinander beziehen lassen; so ist zum Beispiel noch ungeklärt, ob die beobachtete Verhaltensstörung die Ursache oder eine Folge anderer Ursachen ist. Auch Einflüsse von Schwangerschaftsverlauf und Geburt sind nicht eindeutig geklärt. Je nach vermuteter Ursache oder gewähltem Schwerpunkt bei der Beschreibung der Symptomatik unterscheidet sich auch die Benennung: grob lassen sich der neurologische (Europäische) Ansatz und der therapeutische (Amerikanische) Ansatz voneinander abgrenzen.

Im Europäischen Ansatz steht eine – meist nicht nachweisbare – Hirnschädigung im Vordergrund. Da diese angenommene Schädigung sich selten durch Befunde (Abweichungen im EEG) belegen läßt, wird eine “Minimale Cerebrale Dysfunktion” (MCD genannt) unterstellt; bei dieser Hypothese wird davon ausgegangen, daß das Hyperkinetische Syndrom eine Folge dieser MCD ist. Besonders im Schweizer Raum wird MCD auch mit dem Begriff “frühkindliches psycho- organisches Syndrom” (“POS” abgekürzt) bezeichnet, mit dem Vorteil, “daß er nur beschreibt, nämlich, daß die Störung in frühkindlicher Zeit entstanden ist, und daß sie sich in verschiedenen Symptomen manifestiert, welche eine enge organische und psychische Wechselwirkung haben”. (Ruf-Bächtinger, S.6). Ähnlich synonym gebraucht werden “frühkindliches exogenes Psychosyndrom”, “partielle Hirnreifungsstörung” oder auch “Pestalozzi- Syndrom”.

Der therapeutische Ansatz geht von den beobachteten Verhaltensweisen und Auffälligkeiten aus; jedoch werden auch bei dieser Betrachtungsweise zum Teil organische Veränderungen und Dysfunktionen als vermutete Ursachen angegeben. Da dieser Ansatz, wie oben angedeutet, in Nordamerika entwickelt wurde, herrschen hier englische Begriffe vor: Attention Deficit Disorder (ADD) betont die Aufmerksamkeitsstörung, sie kann mit oder ohne Hyperaktivität einhergehen. Differenzierter ist der Begriff Attention Deficit/ Hyperactivity Disorder (ADHD) mit drei Untertypen:

(Neuhaus, S.16/ Quelle: DSM IV)

Schon im 19. Jahrhundert wurden von Charcot und Henoch Studien zu Kindern mit Hyperkinese durchgeführt, 1904 sprach Heller von kindlicher Unruhe und Konzentrationsschwäche. Kramer und Pollnow bezeichneten 1932 die Symptomatik eines hyperkinetischen Krankheitsbildes als “dranghafte Erethie”; als Ursache vermuteten sie, wie die meisten vor ihnen, eine Gehirnschädigung. V. Lederer/ Ederer bezeichneten zwei Jahre später diese Symptomatik als “Hypermotilitätsneurose”, hirnorganische Veränderungen wurden nicht vorausgesetzt, in ihrem Erklärungsmodell waren die Störungen der Bewegungskoordination und der Tonusregelung eine Folge der Hypermotilität. 1953 befand Lemke, daß hypermotorische Kinder, ihre Bewegungsunruhe, das unwillkürliche Grimassenschneiden nicht als krankhaft einzustufen wären. Auch Gollmiz äußerte ein Jahr später, daß dranghafte, ungerichtete Bewegungen typisch für das Kleinkindalter sind und daß es nur graduelle Unterschiede in der Ausprägung gäbe.

Insgesamt betrachtet, ging man damals von einer Überaktivierungshypothese aus: man meinte, diese Kinder und Erwachsenen litten unter einer Übererregung des Zentralnervensystems.

Specht stellte 1986 im deutschen Sprachraum die Unteraktivierungshypothese vor: er ging von einer Unreife, einer Unterfunktion des Gehirns bei hyperaktiven Kindern aus. Unter anderem wurden die EEGs von hyperaktiven mit denen “normaler” Kinder verglichen: bei als hyperaktiv eingestuften Kindern sind die Kurvenverläufe langsamer und großamplitudiger als bei anderen. Schon Lou hatte 1984 vermutet, daß Hyperaktive aufgrund geringerer Gehirndurchblutung einen herabgesetzten Stoffwechsel in der für die Kontrolle der motorischen Erregung, der emotionalen Steuerung und der Aufmerksamkeit zuständigen Frontalregion hätten. Nach diesem Modell stellen Medikamente das gestörte Gleichgewicht neurochemischen Prozesse wieder her, so daß die inhibitorische Wirkung stärker wird. Die Rolle der Neurotransmitter wie Dopamin ist allerdings immer noch nicht zweifelsfrei geklärt (siehe Passolt S. 67-69).

Remschmidt/ Schmidt (1986) beschrieben die Hyperaktivität als den verzweifelten Versuch, dem Gehirn das lebensnotwendige Aktivationsniveau zuzuführen.

Eine weitere Stütze der Untererregungshypothese ist die beruhigende Wirkung von Anregungsmitteln wie Ritalin. Auch starke visuelle oder vestibuläre Reize haben eine beruhigende Wirkung; deshalb auch die Vorliebe hyperaktiver Kinder für primitive motorische Tätigkeiten wie Kippeln, Schaukeln, Rutschen, Rotation. “Insbesondere das untererregte und reaktionsschwache vestibuläre System hyperaktiver Kinder reagiert positiv auf alle Arten primitiv- motorischer Aktivitäten, wie sie in der Sensorischen Integration (SI) nach Jean Ayres zur Anwendung kommen.” ZITAT?

2.3Diagnose und Behandlungsstrategien

Die Anamnese ist die erste Möglichkeit, etwas über das Kind, sein Verhalten und seine Umwelt zu erfahren; der Conners- Fragebogen für Hyperaktivität kann hier eine Hilfe sein, einen Anfangsverdacht auszuräumen oder zu erhärten. Eltern oder Lehrer schätzen nach einer vierwöchigen Beobachtungszeit das Verhalten des Kindes auf einer Punkteskala ein.

Wichtiger für den Arzt oder Therapeuten ist aber die Verhaltensbeobachtung, wenn möglich, auch in einer Gruppensituation. In direkten Untersuchungssituationen besteht die Gefahr von Fehleinschätzungen, da die Zuwendung der Untersuchungsperson das Verhalten des Kindes reguliert und ganz allgemein die Symptomatik bei steigender Personenzahl wesentlich stärker ausgeprägt ist.

Kinder mit Hyperaktivität weisen ein Zuviel an Bewegungen auf, diese sind zu schnell, zu kraftvoll; die Bewegungsproduktion ist maßlos gesteigert, oft sind sie auch verbal hyperaktiv. Ihr zu hoher Tonus bereitet ihnen vor allem bei feinmotorischen Tätigkeiten Schwierigkeiten, da zum Beispiel im Pinzettengriff (wichtig u.a. für Schreiben) mit unangemessenem Druck gearbeitet wird. Auge-Hand-Koordination sowie die Körperbalance sind gestört. Sie haben einen großen sensorischen Reizhunger, sie können nicht warten, sie sind unfähig, augenblickliche Handlungsimpulse zu unterdrücken. Durch ihre verminderte Fähigkeit zur Reizselektion sind sie von akustischen und visuellen Reizen schnell überfordert und reagieren mit überschießendem Verhalten. Die aufgrund ihrer Defizite in der Wahrnehmung und Reizverarbeitung folgenden Teilleistungsstörungen führen zu Mißerfolgen in der Schule. Kompensatorisch reagieren sie mit sekundären Merkmalen wie abweichendes Verhalten, vermindertes Selbstwertgefühl oder Ängstlichkeit.

Neurologisch zeigen sich meist nur “weiche “ Zeichen in Form von Entwicklungsverzögerungen in Grob- und Feinmotorik, Abweichungen im EEG ohne spezifische Befunde bei einer klinischen Untersuchung. Bei Bewegungstests wie dem Körperkoordinationstest für Kinder (KTK) zeigt sich, daß die Gesamtkörpermotorik unterdurchschnittlich entwickelt ist, und es gibt Auffälligkeiten in der Koordination. ZITAT?

Rein medikamentös ausgerichtete Therapien sind heute kaum noch üblich; je nach Ansatz und Ausprägung der Symptome wird psychomotorisch/ pädagogisch gearbeitet oder mit einer Kombination aus medikamentöser Behandlung und mototherapeutischer Intervention. Als Medikament kommt sehr oft das Stimulanzium Ritalin zum Einsatz; die paradoxe, weil beruhigende Wirkung eines stimulierenden Präparates wird durch die bei hyperaktiven Menschen angenommene cerebrale Unterversorgung (Unteraktivierungshypothese, siehe oben) erklärt. Ritalin und andere Stimulanzien sind jedoch wegen ihrer oft starken Nebenwirkungen nicht unumstritten. Auch haben diese Medikamente nachgewiesenermaßen keinerlei therapeutischen Effekt, sie dienen nur zu Symptombekämpfung; bestenfalls ergeben sich – in schweren Fällen - therapiefördernde Umstände durch verbesserte Zugänglichkeit der Patienten. Da auch der Anteil des sozialen Umfeldes an der Symptomentstehung b.z.w. -verstärkung unklar ist, wird in dieser Praxis gänzlich auf eine medikamentöse Behandlung verzichtet.

3Praxistätigkeit

Grob läßt sich mein Praktikum in drei Phasen unterteilen: anfangs hospitierte ich, um einen ersten, allgemeinen Eindruck zu bekommen; recht schnell jedoch wurde ich einbezogen, konnte neu erlernte Fähigkeiten erproben, assistieren; gegen Ende des Praktikums dann bekam ich Gelegenheit, Stunden in Eigenverantwortung unter Supervision eines Therapeuten durchzuführen. Diese drei Abschnitte werde ich im Folgenden als

bezeichnen. Diese lassen sich nicht scharf voneinander abgrenzen; besonders zwischen Hospitation und Assistenz gibt es Überschneidungen, zumal die Kinder – wie später noch näher ausgeführt – eine rein beobachtende Rolle gar nicht zuließen.

Um meine Tätigkeit im Detail, die Progression und Partizipation für den Leser deutlicher darzustellen, werde ich anhand eines einzelnen Kindes die Phasen meines Praktikums und am Beispiel dreier herausgegriffener Stunden den Verlauf einer Therapie beschreiben. Der Einfachkeit halber werde ich dieses Kind (M.) wie auch andere Personen mit dem Anfangsbuchstaben des Vornamens bezeichnen. Bewußt werde ich mich bei der Darstellung der Beispielstunden größtenteils auf meine Eindrücke, meine Notizen beschränken, um einerseits die Entwicklung meiner Beobachtungsfähigkeit und meines Handlungsvermögens aufzuzeigen und andererseits therapiebedingte Veränderungen zu beschreiben.

3.1Vorstellung eines Beispielfalles

Dankenswerterweise erhielt ich unter Anleitung Zugang zu den Daten und kann daher M.s Entwicklung etwas umfassender beschreiben. Mir ist es wichtig, gerade auch die Zeit vor meinem Praktikum miteinbeziehen zu können, da ich M.s Verhalten, seine Problematik im Entwicklungskontext deutlicher darstellen kann.

M.s Werdegang ist durchaus typisch, einerseits für Patienten unserer Praxis, andererseits für hyperaktive Kinder überhaupt. Deshalb auch werde ich ihn stellvertretend für viele andere Kinder vorstellen, allgemeine Merkmale und spezifische Ausprägungen beschreiben.

In den ersten Monaten war M. weitgehend unauffällig: komplikationslose Schwangerschaft, normale Geburt, keine Auffälligkeiten bei den ersten kinderärztlichen Untersuchungen. Im Laufe des ersten Lebensjahres dann gab es leichte Hinweise auf eine abweichende Entwicklung (Unruhe, laterale Differenzen), wobei jedoch die Eltern keinen Handlungsbedarf sahen, den Kontakt zur Praxis abbrachen und einen anderen Arzt aufsuchten.

Mit 5:3 Jahren wurde M. wieder in unserer Praxis vorgestellt; Auslöser waren Gespräche der Kindertagesstätte mit der Mutter, da er dort als ein “wildes Kind” galt und die Entwicklung verzögert schien. Ärztlicherseits wurden festgestellt:

Alles in allem gab es jedoch keine klinisch relevanten Faktoren, gleichwohl wurde sofortiger Handlungsbedarf gesehen: Noch im gleichen Monat begann die entwicklungsneurologische Behandlung in einer Einzelsituation, ergänzt um psychologische Stützgespräche in der Familie.

Vier Monate später wurde ein PET1 durchgeführt: hier zeigten sich Wahrnehmungsstörungen in den Bereichen Motorik und auditive Wahrnehmung. Etwa zeitgleich ergab eine neue Bestandsaufnahme des psychischen Status’ schwankende Aufmerksamkeit, leicht eingeschränkte Wahrnehmungsfähigkeit, reduziertes Denktempo. Auch zeigten sich Auffälligkeiten im Sozialverhalten, im Verhalten zu Erwachsenen: eher abwehrend, Vermeidung von Blickkontakt.

Zur selben Zeit wurde durch den Wechsel in eine Zweiergruppe ein neuer Abschnitt in der psychomotorischen Behandlung begonnen.

Mit 6:1 Jahren stellte sich die Schulfrage: aufgrund der motorischen Unruhe und der Wahrnehmungsstörungen wurde er als Integrationskind eingeschult. M. fiel sofort durch Unruhe, schwache Konzentration und Ausdauer auf, wobei er im Laufe des ersten Schulhalbjahres ruhiger wurde.

Eine weitere Aufnahme des psychischen und entwicklungspsychologischen Status im Alter von 7:0 Jahren bestätigte weitgehend die Ergebnisse der vorhergehenden; zu nennen wäre ein Erwachsenen gegenüber nun distanzloses Verhalten. Die zweite Klasse mußte wiederholt werden.

Die letzte Erfassung des Status’ im psychischen und entwicklungspsychologischen Bereich ergab:

Neben den ärztlichen Untersuchungen, zu deren Ergebnissen ich Zugang erhielt, wurde M. auch von anderen Seiten untersucht und getestet; unter anderem mehrfach im Vorfeld der Einschulung sowie nach der ersten Klasse in der Schule. M. also, wie viele andere Kinder auch, reiche Erfahrungen mit Testsituationen, Stigmatisierung gemacht, was die Probleme zusätzlich verstärkt. Das Wissen um das Anderssein erfordert im Umgang mit diesen Kindern besondere Behutsamkeit, damit die wechselseitige Verstärkung von Auffälligkeit<>Stigmatisierung<>schlechtem Selbstbild durchbrochen werden kann.

3.2Hospitationsphase

3.2.1Allgemeiner Ablauf

Wie oben schon beschrieben, sollte ich in den ersten Wochen vor allem beobachten. Schon in der ersten Stunde allerdings merkte ich, daß es eine rein hospitierende Rolle nicht geben konnte: auch wenn die Kinder ja wußten, daß ich zum Zuschauen gekommen war, stellten sie mir Fragen, versuchten, mich in ihr Spiel einzubeziehen. Und so ein schweigsamer Mann auf der Bank macht schon neugierig! Sehr bald wurde ich “gezwungen”, auf die Kinder einzugehen, eigene Spielideen zu entwickeln oder vorhandene zu verändern, letztendlich mitzuarbeiten.

Bei jedem Mitarbeiter sollte ich mir einen ersten Eindruck verschaffen, seine besondere Arbeitsweise kennenlernen, selbst Handlungskompetenz erwerben. Das sollte mir die Möglichkeit geben, einen möglichst tiefgehenden Einblick in die verschiedenen psychomotorischen Tätigkeitsfelder zu bekommen und später durch eigene Handlung Erfahrungen im therapeutischen Umgang mit Kindern zu sammeln.

Wie anfangs schon erwähnt, hatten wir bereits vor Praktikumsbeginn für die erste Woche eine Art Stundenplan aufgestellt. Das erleichterte mir den Einstieg sehr, weil ich dabei auch die mir bis dahin unbekannten Mitarbeiter kennenlernte und aktiv an der Erstellung des Planes und somit auch an der Schwerpunktsetzung meines Praktikums mitwirken konnte. Wichtig war mir, daß ich die Tätigkeit im Schwimmbad weiterführen konnte, ich hoffte, durch die veränderte, engere Einbindung in die Praxis gerade auch dort neue Impulse und mehr Handlungskompetenz zu gewinnen. Interessant war für mich auch die Möglichkeit, Kinder, die ich aus dem Schwimmbad kannte, in einem völlig anderen Umfeld wiederzusehen. Das war leider nicht so oft der Fall, weil unser Schwimmen häufig den Abschluß oder zumindest eine Pause innerhalb einer psychomotorischen Behandlung bildete.

Da im psychomotorischen Bereich dieser Praxis Kinder im Alter zwischen 0 und 15 Jahren behandelt werden und vier Therapeuten dort mit Kindern arbeiten, fiel die Auswahl der ersten Stunden nicht so leicht. Ich wollte erst einmal bei den mir schon bekannten Therapeuten hospitieren, sie in einer anderen Umgebung als Wasser beobachten können, vorhandene Gemeinsamkeiten und die Unterschiede im Umgang mit den Kindern wahrnehmen. Schon in der ersten Woche aber wollte ich die Gelegenheit nutzen, bei der Behandlung von Schreibabies und anderen auffälligen Kleinkindern dabeizusein. Selbstverständlich wurde gerade bei diesen Kindern das Einverständnis der Eltern eingeholt; überrascht war ich von der Bereitwilligkeit, mit der Mütter und Väter Einblick in die Problematik gewährten. Oft erzählten sie auch mir von den Schwierigkeiten, die solch ein besonderes Kind mit sich bringt.

In der Turnhalle wollte ich erst später hospitieren; die Gruppen dort sind größer, die Kinder älter, und meist sind auch die Verhaltensauffälligkeiten tiefgreifender als bei anderen. Ich war der Meinung, daß es besser wäre, vorher mehr Erfahrungen zu sammeln. Ich fühlte mich noch nicht sicher genug, die Interaktion von bis zu sieben Kindern und zwei Therapeuten umfassend genug zu beobachten und mich dabei heraushalten zu können.

Täglich war nach der halbstündigen Mittagspause noch genug Raum (ca. 30 – 60 Minuten) für Fragen und Probleme allgemeiner Art; Fragen und kurze Rückmeldungen zu konkreten Stunden wollten wir, wenn möglich, direkt nach der Hospitation klären, ansonsten würde auch dafür mittags genug Zeit sein. Darüber hinaus war wöchentlich bis vierzehntäglich eine kleine Weiterbildungsstunde, abgehalten von Dr. Hartwig, zu jeweils einem Thema angedacht, nicht nur für mich, sondern offen für alle Mitarbeiter. Als positiver Begleiteffekt sollte auf diese Weise auch der ohnehin schon rege Austausch zwischen den Therapeuten intensiviert werden. Alternativ sollten diese Stunden Raum für Selbsterfahrungen mit Materialien oder Therapiemöglichkeiten bieten. Diese Situation machte mir auch etwas Angst, ich befürchtete etwas – im übrigen unbegründet -, der Kontrast zwischen meinen mangelnden Praxiserfahrungen und der langjährigen Tätigkeit der anderen Mitarbeiter würde bei mir Unsicherheit und Überforderung und bei den anderen Langeweile auslösen.

Einmal vierteljährlich findet in der Praxis eine “Kinderbörse” statt; unter diesem Begriff konnte ich mir noch nicht allzuviel vorstellen, aber schon bald nach Praktikumsbeginn wurde eine Kinderbörse abgehalten: es werden natürlich keine Kinder verkauft. Es ist manchmal schwierig, für ein Kind passende Partner zu finden: Art der Auffälligkeiten und somit der Förderbedarf, Alter, Geschlecht u.s.w. müssen zwar nicht übereinstimmen, oft ist das nicht einmal erwünscht, aber dennoch muß man beim Aufbau einer Gruppe diese Kriterien beachten. Auch müssen sich zur gleichen Zeit Freiräume in Schule, Kita, Freizeitgestaltung, Elternhaus ergeben; mit wachsendem Alter wird das schwieriger. Zudem sollten die Kinder sich verstehen, miteinander auskommen. Die Kinderbörse bildet eine Plattform für den Austausch, neben dem Tauschen von Kindern zwischen den Therapeuten auch für den Austausch von Informationen. Seit Jahren gibt es schon gute Erfahrungen mit dieser Art, psychomotorische Therapie gemeinsam zu planen, umzusetzen und dabei auch das eigene Handeln zu hinterfragen.

Alle acht Wochen treffen sich alle Mitarbeiter der Praxis, auch die Psychologin und die Arzthelferinnen, zu einem “Team” genannten Gespräch. Das erscheint selten, ich gebe jedoch zu bedenken, daß, begründet durch die relativ geringe Anzahl der Mitarbeiter und die räumliche Nähe, viele kleine Probleme schon im Alltag geklärt werden können. So dient dieses “Team” vor allem zur Sicherstellung des Kontakts zur Psychologin und als Basis für die Klärung von eventuellen Meinungsverschiedenheiten zwischen Therapeuten und Arzthelferinnen.

Um möglichst unvoreingenommen in die Stunden hineingehen zu können, sollte und wollte ich über die Kinder vorher außer eventuell den Namen nichts erfahren. Mit einer kleinen Vorstellungsrunde, in der wir Namen und Alter austauschten und ich den Kindern den Grund für meine Anwesenheit mitteilte, begann jeweils die erste Stunde, die ich in einer Gruppe hospitierte. Nach dieser Stunde besprach ich meine Beobachtungen mit den Therapeuten, stellte Fragen zur Geschichte der Kinder und zum therapeutischen Konzept.

Im folgenden werde ich meinen Tagesablauf kurz beschreiben, einige Eindrücke aus den ersten Wochen einbeziehen. Erst danach werde ich am Beispielfall detailreicher in die Tiefe gehen.

3.2.2Die ersten Tage

Wie sah nun die erste Woche konkret aus? Der erste Tag meines Praktikums begann um halb neun; in der Küche der Praxis, die auch als Aufenthaltsraum und für Gespräche genutzt wird, besprachen mein Mentor, die Krankengymnastin A. sowie die Pädagogin C. noch einmal den Tagesablauf. Um neun begann die erste Stunde: ich hospitierte bei der Krankengymnastin A. in einer Zweiergruppe. Ich war gespannt, wie die Kinder die neue Situation aufnehmen würden und wie ich mich dabei fühlen würde. Es waren zwei Jungen, ungefähr gleichaltrig (5 Jahre), einer klein, ein wenig pummelig, laut, redete ständig auf seinen Partner und auf A. ein; der andere relativ groß, schlaksig, ruhiger. Besonders viele Auffälligkeiten bemerkte ich nicht: nur fahrige, unkoordinierte Bewegungen und eine verwaschene Sprache fielen mir auf. Und scheinbar wurde in der ganzen Stunde nur gespielt. Die Therapeutin tat wenig; nur manchmal sagte oder fragte sie etwas, meist jedoch konnten die beiden frei spielen. Die Kinder durften zwar nicht alles nehmen und sollten aufräumen, doch das müssen sie ja zu Hause oder in der Kita auch.

Nach dieser Stunde nahmen A. und ich uns eine Dreiviertelstunde Zeit, um über meine Eindrücke zu sprechen. Ich war etwas unsicher, wie ich meine Beobachtungen beschreiben könnte: auf den ersten Blick waren dies zwei normale Kinder, etwas lauter vielleicht, aber dies und auch die Unruhe hätte ich in einem anderen Umfeld wohl mit der ungewohnten Situation – meiner Anwesenheit - erklärt. Ich bemerkte Veränderungen in meiner Wahrnehmung, ich beobachtete schärfer, auch das könnte eine ausreichende Begründung für meine Beobachtungen sein. Erst in der Auswertung der Stunde, als wir meine Wahrnehmungen, die Handlungen der Krankengymnastin sowie das Verhalten der Kinder in Beziehung brachten, erschienen viele kleine Details in einem anderen Licht. Was für mich vorher zum großen Teil nur wie ein Spiel (unter Aufsicht der Therapeutin) aussah, verwandelte sich nun in eine vorbereitete therapeutischen Situation, in der zwar Anregungen der Kinder aufgegriffen wurden, aber diese wurden vorsichtig so gelenkt, so daß die Kinder von selbst, aus eigenem Antrieb an ihren jeweiligen Problemen arbeiteten. Das klang alles sehr einfach, einleuchtend; nur stellte ich schon in der nächsten Stunde fest, daß das Wissen um ein Konzept, nicht zwangsläufig bedeutet, daß man diese in der konkreten Handlung erkennt. Ich hatte ja gerade erfahren, daß hinter allen Handlungen der Krankengymnastin eine zielgerichtete Absicht steckte, und dennoch hatte ich, wie ich bei der Auswertung feststellen mußte, wieder vieles nicht wahrgenommen. In den nächsten Tagen und Wochen machte ich immer wieder diese Erfahrung.

In den nächsten beiden Stunden hospitierte ich bei der gleichen Therapeutin, jedoch waren es Einzelbehandlungen: ein Junge (4) und ein Mädchen (ebenfalls 4 Jahre). Ich lernte jetzt auch den kleinen Raum in der Praxis kennen, für diese Zwecke ist er ideal. Anschließend war Mittagspause; nach dem Essen hatte Dr. Hartwig Zeit, um mit mir meine ersten Eindrücke und Fragen durchzugehen. A. war auch anwesend, beteiligte sich aber erst am Gespräch, als ich Fragen zur letzten Stunde stellte und wissen wollte, wie sie meine Beobachtungen einschätzte. Die Rückmeldung war sehr positiv: ich beobachtete genau, ich würde gut in meiner Rolle als stiller Beobachter aufgehen und dadurch für die Kinder kein Störfaktor sein.

Am Nachmittag gab es den ersten Wechsel: ich hospitierte zweimal bei der Pädagogin C. in Zweiersituationen, in der ersten Gruppe waren es ein Mädchen und ein Junge im Vorschulalter, in der zweiten zwei Erstklässler. In der letzten Gruppe an diesem Tag hospitierte ich wieder bei A., ebenfalls zwei Jungen (7 und 8 Jahre). Anschließend war viel Zeit für die Auswertung des ersten Praktikumstages.

Der nächste Tag verlief ähnlich: ich hospitierte bei der Therapeutin A., unterbrochen von einer halben Stunde mit einem Schreibaby bei der Krankengymnastin K. Dieser Tag bot nicht so viel Freiraum: erst in der Mittagspause war ein wenig Zeit für Fragen und Beobachtungen. Und am Abend blieben diesmal leider nur wenige Minuten, da wir bis 18:00 arbeiteten.

Am folgenden Tag – es war ein Mittwoch – trafen die Therapeutin A., die Pädagogin C. und ich uns in der Schwimmhalle (diese kannte ich schon länger, wie eingangs beschrieben). Es gab eigentlich nichts Neues für mich, aber ich hoffte, daß mein veränderter Status als Praktikant mir neue und tiefere Erfahrungen auch mit diesem Medium ermöglichen würde. Hier hospitierte ich auch nicht; im Schwimmbecken war ich schon seit einiger Zeit eher in einer Assistenzrolle. Wie immer kamen in der ersten Gruppe Vorschulkinder, heute nur sechs, da ein Mädchen krank war. Es folgten noch zwei Gruppen mit je vier etwas kleineren Kindern (3 bis 5 Jahre). Ich nahm leichte Veränderungen wahr: ich beobachtete genauer als vorher, und wir entwickelten einen eher partnerschaftlichen Umgang.

Nach dem Schwimmen hatten wir eine längere Pause; das kam mir sehr gelegen, da wir so den gestrigen Tag und auch diesen Mittwoch in Ruhe aufarbeiten konnten. Es machte Spaß, mit einem veränderten Blick alte Erfahrungen zu betrachten.

Der Mittwochnachmittag war nicht fest verplant, denn das Praktikumsbegleitseminar in der Universität würde viermal zu dieser Zeit stattfinden. Auch Besuche in Kitas und Schulen erfolgten häufig in diesem Zeitraum, und ich wollte gern solche Besuche begleiten, wenn es um Kinder ging, die mir bekannt sind. Heute würde es weder ein Seminar noch einen Schultermin geben; also hospitierte ich wieder bei A. im großen Raum im Seitenflügel des Gebäudes in mehreren Gruppen bis zu vier Kindern.

Am Donnerstag begann der Tag wieder früh: um acht Uhr würde ich bei der Pädagogin C. bei zwei wahrnehmungsgestörten Jungen im Alter von 3 und 5 Jahren hospitieren. Danach folgte – ebenfalls bei C. – eine Einzelstunde mit einem Mädchen mit Teilleistungsstörungen. Als letztes am Vormittag lernte ich L. und D. kennen, zwei vierjährige Jungen mit Verhaltensauffälligkeiten. Bis zur Pause war noch viel Zeit, denn zwei Kinder hatten wegen Krankheit abgesagt. Die Zeit konnten die Pädagogin C. und ich für die Auswertung des Vormittags nutzen; interessant waren für mich die kleinen Unterschiede zwischen der Therapeutin A. und der Pädagogin C. im Umgang mit Kindern. Und wie sich herausstellte, war meine Frage nach einer Art “Arbeitsteilung” nicht falsch; A. behandelt eher Kinder mit einem geringeren Entwicklungsalter als C. Verständlich, da ein pädagogisch eingefärbter Ansatz ein gewisses Maß an kognitiver Entwicklung voraussetzt.

Am Nachmittag hospitierte ich wieder bis zum Abend durchgehend bei der Therapeutin A.; bemerkenswert war eine Stunde mit einem die Sprache verweigernden Jungen. Ich kannte ihn schon aus dem Schwimmbad, auch da hatte er nicht gesprochen. Hier, in diesem Umfeld, fielen mir seine Tonusschwäche, seine Koordinationsprobleme mehr auf als im Wasser. Und auch die fehlende Sprache erwies sich als ein größeres Kommunikationshemmnis.

Der Freitagvormittag ist Tests sowie Kita- und Schulbesuchen vorbehalten. Diesmal wurde ein achtjähriges Mädchen mit dem HAWIK-R getestet; nach Rücksprache mit ihren Eltern und ihr selbst durfte ich mit hineingehen. Dennoch hatte ich den Eindruck, daß in diesem Fall meine Anwesenheit eine Ablenkung darstellte: sie war schwer zur Mitarbeit zu motivieren, blickte kaum nach oben, sprach wenig und sehr leise. Nach zehn Minuten etwa ging ich dann hinaus; auch die Pädagogin, die diesen Test durchführte, war der Meinung, es würde die Testsituation verbessern.

Ich ging, um die Wartezeit zu überbrücken, in den neben dem Testraum liegenden großen Therapieraum und beschäftigte mich eingehend mit den verschiedenen Geräten und Materialien. Ich wollte die Funktionsweise und die Eigenheiten kennenlernen.

Den ersten Freitagnachmittag hatte ich frei; in der darauffolgenden Woche wollte ich bei dem Motologen L. hospitieren, doch ich sah mir zur Vorbereitung noch ein Dokumentationsvideo aus der Turnhalle an; die Pädagogin C., die dort dienstags mit dem Motologen zusammenarbeitet, kommentierte und erklärte die Geschehnisse auf dem Bildschirm. Ich sah Ausschnitte von mehreren Gruppen mit sehr unruhigen Kindern; die Verstärkung von Verhaltensauffälligkeiten durch die höhere Gruppenstärke verblüffte mich; eine solche Steigerung hatte ich nicht erwartet.

Wir besprachen nach dem Video die nächste Woche; Änderungen waren wie schon erwähnt am Freitag geplant, wo ich mit dem Motologen in die Turnhalle gehen wollte, sowie am Dienstag, denn dann würden L. und die Pädagogin C. zusammen mehrere Gruppen betreuen.

Um den Ablauf einer typischen psychomotorischen Therapiestunde ein wenig zu verdeutlichen, gebe ich ein Beispiel aus der zweiten Praktikumswoche.

3.2.3Hospitation bei einem hyperaktiven Kind

Vorausschicken will ich noch, daß es nicht einfach ist, mit meinem heutigen Wissen Beobachtungen und Gefühle zu beschreiben, die ich am Beginn des Praktikums hatte. Meine Wahrnehmung, mein Horizont hat sich stark verändert, und das läßt sich nicht immer ausblenden.

Ich sollte im Seitenflügel (im großen Raum) in einer Zweiergruppe bei der Therapeutin A. hospitieren. Zwar hatte ich ja schon etwas mehr als eine Woche hospitiert, gleichwohl war ich immer noch unsicher, wenn ich eine neue Gruppe kennenlernte. Interessant war jedesmal die Reaktion der Kinder gewesen; vollständig ignoriert hatten sie mich nie, dennoch gab es eine große Bandbreite zwischen kaum wahrnehmen und ständigen Versuchen, mich in die Stunde einzubeziehen.

A. und ich waren schon im Raum, vorher hatte ich schon in einer anderen Gruppe hospitiert. M. und T. kamen herein; M. kommentierte meine Anwesenheit sofort, fragte, “was der Mann hier will”, wartete aber keine Antwort ab, sondern stürzte sich auf die große Turnmatte, die in der Mitte des Raumes lag und begann, Vorwärts- und Rückwärtsrollen zu machen. Er rief dabei dem anderen Kind zu: “Ich kann das besser als du, mach’s doch nach” und ähnliches. T. blieb abwartend im Raum stehen. Die Therapeutin forderte die beiden auf, sich mit uns Erwachsenen auf der Matte zu treffen, und leitete die Vorstellung mit den Worten “Heute haben wir Besuch, vielleicht sagt ihr ihm eure Namen und wie alt ihr seid, das weiß er noch gar nicht.” M. sagte sofort sprudelnd seinen Namen und das Alter, welche Schule und Klasse er besuchen würde; erst nach Unterbrechung durch die Therapeutin bekam T. die Chance, sich zu äußern – sehr leise und knapp. Daraufhin stellte ich mich vor, erklärte den Grund meiner Anwesenheit und sagte, daß ich jetzt öfter zugucken würde. Meine beobachtende Rolle wollte ich von der Bank aus wahrnehmen.

M. fragte die Therapeutin “können wir jetzt?”, stürzte sich – wieder ohne eine Antwort abzuwarten - auf die Seile, die an der Wand hängen, und riß sie herunter. Er versuchte, sie zusammenzuknoten, was ihm nicht so leicht gelang.

Die Therapeutin bereitete mit einigen kurzen Handgriffen Trampolinspringen vor; M. sah das, ließ alles fallen und rannte zum Sprunggerät. Auf die deutliche Aussage hin, er könne erst springen, wenn er die Seile wieder an den Haken gehängt hätte, grinste er, meinte, er wolle doch nur probieren. Er versuchte, aufzusteigen und stieß dabei mit der Schulter T. beiseite. Erst nach wiederholter Aufforderung räumte er die Seile weg; das bereitete ihm jedoch Schwierigkeiten, da er hastig und fahrig die Seile Richtung Haken warf, ohne genauer zu zielen.

Beim Springen dann versuchte er immer wieder, sich vorzudrängeln. Er versuchte auch, Regeln aufzustellen, nach denen er öfter als T. springen könnte. So meinte er, er dürfe solange springen, bis ihm ein Sprung geglückt sei. Beide riefen ständig die Therapeutin als Mittlerin an, es fiel ihnen schwer, den Konflikt unter sich auszumachen. Auseinandersetzungen dieser Art zogen sich durch die ganze Stunde.

Beim Springen beobachtete ich, daß M. den Schwung des federnden Bodens nicht ausnutzte; seine Sprünge wie auch die Landung waren steif, er nutzte die Arme kaum zur Balanceregelung. Weiterhin erschien mir das Gleichgewicht auffällig: er kam des öfteren ins Straucheln, auf dem Trampolin, bei der Landung und sogar beim Herumlaufen im Raum.

Seine Selbsteinschätzung schien nicht im Einklang mit seinen Fähigkeiten zu stehen – zum Beispiel so mißglückten ihm ständig seine “Judo”- und “Taekwando”- Rollen oder der Sprung bis zur Wand. Er meinte dazu nur “hat jetzt nicht ganz geklappt, aber beim nächsten Mal... außerdem kann T. das überhaupt nicht”.

Auffällig war für mich, daß M. Gefahrensituationen anscheinend nicht besonders gut einschätzen konnte: Luftrollen, das Herunterschubsen des Partners vom Trampolin, Rückwärtsspringen waren für ihn nicht mit Gefahren verbunden, er versuchte, sich darauf beziehende Verbote und Regeln zu hintergehen und meinte “ich kann das doch”. Zudem fiel es ihm schwer, sich an das Vorhandensein von Regeln zu erinnern; mehrmals meinte er nach Erinnerung der Therapeutin “Ach, ja, stimmt ja, das sollen wir nicht”.

Sein Sozialverhalten war, wie oben schon angedeutet, konfrontativ; oft versuchte er, seinen Kameraden zu ärgern, ihn zu provozieren. Immer wieder bemerkte ich, daß er nicht abwarten konnte oder wollte. Mit Vordrängeln, Schubsen, verbale Attacken (“nun laß mich doch endlich mal”, “Du springst ja schon viel länger als ich” und so weiter) wollte er T.s Sprünge beschleunigen, um eher auf das Trampolin steigen zu können. Das Erfassen von Regeln und vor allem ein adäquates Handeln fiel ihm schwer, zumal er sie anscheinend schnell vergaß. Zum Beispiel durfte als Schutz vor Unfällen nur auf die große Turnmatte sowie nur vorwärts gesprungen werden; mehrfach “vergaß” er das und mußte von der Therapeutin daran gehindert werden, seitlich abzuspringen oder eben Rückwärtssprünge auszuführen.

Die Therapeutin begegnete ihm ruhig, aber bestimmt; mich verwunderte das, denn mir wäre es nicht gelungen, so lange ohne Zeichen von Ungeduld mit ihm umzugehen. Es fiel mir auf, daß A. sich durchaus durchsetzen konnte, ohne die Kinder im Spieldrang zu stark zu hemmen oder von ihren Zielen Abstriche zu machen. Ich selbst wäre wohl lauter geworden – das hätte vielleicht nichts geändert, aber irgendwie müssen doch die Kinder merken, wann es genug ist... Oder ich hätte nachgegeben, Provokationen “übersehen”, genervt und entnervt von den unaufhörlichen Versuchen M.s, Regeln zu umgehen. Ich wußte noch nicht besonders viel über das Verhalten hyperaktiver Kinder, vor allem jedoch hatte ich keine Erfahrungen im Umgang mit ihnen.

Ich sah aber auch, daß M. nicht immer so aufgedreht war; es gab auch ruhigere Momente; welche Umstände daran beteiligt waren, ob die Therapeutin darauf Einfluß hatte, war mir unerklärlich. So rollte er sich nach einem “Bauchklatscher” von der Matte und blieb eine Weile ruhig liegen. T. sprang noch dreimal, dann sagte die Therapeutin, daß sich die beiden eng nebeneinander auf den Bauch legen sollten. Sie nahm eine große, weiche, durchsichtige “Romparolle” und “walzte sie damit platt wie eine Briefmarke”. Die beiden kicherten ein wenig, auffällig erschien mir das unterschiedliche Schmerzempfinden der Kinder: während für T. der Druck gerade noch erträglich war, wünschte M. sich viel mehr. Beide wollten jedoch nochmals gewalzt werden. A. meinte “dreht euch um, ich rolle jetzt eure Bäuche platt und danach noch einmal die Rücken, dann müssen wir aufhören, die nächsten Kinder warten schon”. M. wollte aufstehen und meinte, daß er lieber springen mag. A. entgegnete, daß noch Zeit für die “Spinne” sei. “Spinne” war mir völlig unbekannt, ich war neugierig auf dieses Spiel. M. kannte es schon, sagte “oh ja, macht der Mann mit?” und legte sich wieder hin. Meinen Namen hatte er wohl wieder vergessen; A. verneinte die Frage. Diesmal verlagerte A. beim Rollen das Gleichgewicht so, daß M. einen Großteil ihres Gewichts tragen mußte – das machte ihm anscheinend nichts aus!

Nach dem letzten Walzen öffnete A. die Tür und ging auf Hände und Knie, die Kinder liefen in die andere Ecke des Raumes und gingen auf alle Viere. Dann versuchte die Therapeutin, kriechend mit geschlossenen Augen die beiden einzufangen, während diese sich ebenfalls kriechend bemühten, an ihr vorbei zur Tür hinauszukommen, was ihnen auch gelang. Ein lustiger Anblick war es schon, wie die drei auf dem Boden krochen. M. rief in der Tür, daß A. schon wieder verloren hätte, lachte und sprang unvermittelt seine im Flur wartende Mutter an. Diese verzog zwar vor Schmerz das Gesicht, sagte aber mit einem – gequälten - Lachen, daß er doch bitte nicht immer so grob sein solle. Die Therapeutin verabschiedete sich von M., T. und ihren Müttern, und ich schloß mich ihr an.

Leider kam, wie oben ersichtlich wurde, gleich im Anschluß die nächste Gruppe; so konnten wir diese Stunde erst in der Mittagspause auswerten. Ich hatte mir Notizen gemacht und für mich interessante Details und Auffälligkeiten festgehalten. Diese nutzten wir in der Pause, um die Therapieeinheit zu besprechen.

3.2.4Auswertung der Hospitationsphase

Ich hatte ja schon mehr als eine Woche hospitiert, dennoch hatte ich Schwierigkeiten mit der Einordnung meiner Beobachtungen. Vor allem verstand ich noch nicht so recht, was genau an dieser Stunde psychomotorische Therapie sein sollte; was unterschied sie – abgesehen natürlich von der Gruppenstärke – von normalem Kinderspiel oder auch vom Schulsport? Letzteres ist selbstverständlich ein Kriterium: mit steigender Anzahl wächst auch die Tendenz zu abweichendem Verhalten. Das allein rechtfertigt aber noch nicht den mit Psychomotorik oder anderen Therapieformen verbundenen Aufwand.

Ich beschrieb, was mir aufgefallen war; der Kontrast zwischen den Kindern, M.s Unruhe, Lautheit, Robustheit. Bald stellte ich dann die Frage nach einem Konzept, einem roten Faden in der Behandlung von M.s Besonderheiten. Mich interessierte, ob diese wie auch andere Stunden vom Zufall gesteuert würden oder ob eine Idee so perfekt umgesetzt wurde, daß ich sie nicht bemerkt hatte. Die Antwort war: “Beides”. Wichtig sei eine den Zielen entsprechende Vorbereitung des Raumes, so daß im Idealfall das Kind/die Kinder tatsächlich ‘zufällig’ genau das tun, was der Therapeut beabsichtigt. In diesem Fall war es ein Ziele, M. und T. Handlungskompetenzen im Sozialbereich zu stärken sowie Grobmotorik, Koordination, Gleichgewicht, Propriozeption zu verbessern. Mit dem Trampolinspringen lassen sich diese Bereiche sehr gut gleichzeitig ansprechen, und die Kinder müssen sich abstimmen, in welcher Reihenfolge sie springen, sie können lernen, Provokationen nicht aggressiv zu begegnen und Meinungsverschiedenheiten verbal auszutragen. Die Therapeutin muß Sorge tragen, die Situation steuernd zu begleiten.

Von Bedeutung ist in solchen psychomotorischen Situationen nicht nur die Strukturierung des Raumes und des Materialangebotes, sondern auch die Strukturierung der Zeit. Diese Stunde wie auch andere folgen einem dreigeteilten Modell: Begrüssungstreffen (meist auf der Matte) – Durchführung der Therapieeinheit – Abschlußspiel (in diesem Fall die “Spinne”). Die gleichförmige Struktur in allen Therapiestunden erleichtert den Kindern, sich zeitlich zurechtzufinden und sich auf das Ende der Stunde einstellen zu können. Hyperaktive Kinder (wie auch viele ‘normale’ Kinder) reagieren auf für sie unvorhersehbare Veränderungen oder zu schnelle Umstellungen mit zum Teil heftigen Abwehrreaktionen; klar definierte Formen des zeitlichen Ablaufes und die Ankündigung des Endes eines Abschnittes können übermäßige Reaktionen verhindern.

3.3Assistenzphase

3.3.1Allgemeine Ablauf

Schon in der ersten Woche nahm ich an Abschlußspielen wie Verstecken oder Spinne teil. Sehr bald, in der dritten oder vierten Woche, begann ich mich aktiv an der Durchführung der Therapiestunden zu beteiligen. Einerseits wurde das von den Kindern eingefordert, mit zurecht fragten sie, ob ich denn nicht mitmachen wolle, andererseits hatte ich natürlich selbst ein Interesse daran – Lernen nur durch Beobachtung ist schwerer und nicht so intensiv wie das Lernen durch Handeln und Nachahmen. Diese Chance wollte ich schnell nutzen. Allerdings zog ich mich in den folgenden Wochen immer wieder auf meine Hospitationsrolle zurück, wenn ich in eine neue Gruppe kam oder auch bei der Beobachtung der Behandlung von Schreibabies. Hier war ich auch nach einigen Wochen noch unsicher im Umgang mit Eltern und Kindern.

Zuerst übernahm ich reine Hilfeleistungen, bereitete den Raum mit vor, räumte auf, gab Hilfestellung, z.B. am Trampolin. Nach und nach versuchte ich dann, nach Rücksprache mit der Therapeutin/ dem Therapeuten eigene Anregungen einzubringen, probierte, meine Erfahrungen aus der Beobachtung in Handlung umzusetzen. Wie ich sehr bald feststellen mußte, ist das nicht immer so einfach wie gedacht. Die gleichen Worte, die gleichen Gesten wirkten nicht einfach so; die ganze Persönlichkeit ist an der Kommunikation beteiligt. Ich mußte lernen, daß ich nicht einfach kopieren durfte. Ich mußte einen Weg finden, wie ich meine Beobachtungen und mein Hintergrundwissen in konkrete, zielgerichtete sinnvolle Handlungen umsetzen konnte. Die Therapeuten und Dr. Hartwig waren mir dabei sehr behilflich; letzterer mit Bücherempfehlungen, allgemeinen Hinweisen, vor allem aber mit den “Weiterbildungsstunden”, denn diese waren gut auf meinen derzeitigen Wissens- und Erfahrungsstand abgestimmt. Von den anderen bekam ich eher konkrete Hilfsangebote oder Tips.

3.3.2Außenkontakte

In dieser Phase begann ich auch, an Kita- und Schulbesuchen teilzunehmen. Sechsmal insgesamt war ich während meines Praktikums in Schulen und Kitas, um an Gesprächen mit Lehrern und Erziehern teilzuhaben. Unter anderem besuchte ich, zusammen mit der Therapeutin A., die Kita des oben erwähnten sprachverweigernden Jungen T.. Aus dem insgesamt nicht besonders ergiebigen Gespräch möchte ich herausgreifen, daß die Kitaleiterin, die auch T.s Gruppe betreute, der Meinung war, daß seine Auffälligkeiten nicht so wild wären, das würde sich schon noch geben. Auch die Sprache käme bestimmt noch vor der Einschulung. A. gelang es nicht, auch nur ein geringes Verständnis für die Arbeit unserer Praxis sowie für die Schwierigkeiten des Jungen – die ja im übrigen nicht nur im Sprachbereich liegen – zu wecken.

Für meinen Bericht wohl interessanter ist ein Besuch in der Schule meines Beispielfalles M. Ich begleitete die Therapeutin A., welche die Schule besuchen wollte. Die Schule hatte um Kontakt gebeten, bei den Lehrern bestand Interesse an der Arbeit der Praxis, und auch A. hatte schon seit einiger Zeit den Wunsch, die schon bestehenden Verbindungen zu dieser Schule (viele der bei uns in Behandlung stehenden Kinder lernen dort) wieder aufzufrischen. Wie ich von ihr erfuhr, war das Ziel, bei den Lehrern dadurch das Verständnis für M.s Problematik zu verbessern und selbst M. im Umfeld “Schule” zu beobachten, seine Verhaltensprobleme in einer größeren Gruppe, seine Beziehung zu den Lehrern und zu den Mitschülern.

Wir trafen uns an einem Freitag um 9:30 zur Hospitation in der Schule; wir wollten eine Stunde lang M.s Verhalten im Mathematikunterricht verfolgen. Danach erst war ein Gespräch mit der Lehrerin anberaumt.

M. wurde, wie weiter oben beschrieben, als Integrationskind in eine Integrationsklasse eingeschult. In seinem Fall bedeutete dies, zusammen mit acht weiteren Schülern von einer Lehrerin und einem Lehrer unterrichtet zu werden. Eine – zumindest potentiell – effektive Lern- und Lehrsituation.

Wir setzten uns in die letzte Reihe, damit die Schüler möglichst wenig Ablenkung durch unsere Anwesenheit hätten. M. saß ganz vorn, allein an seiner Bank, und begrüßte unser Eintreten lauthals. Er freute sich sichtlich, uns hier zu sehen, stürzte auf uns zu und erzählte schnell und etwas wirr von einem Film, den er am Abend zuvor gesehen hatte. Die Lehrer nahm er erst war, als einer der beiden ihn, direkt vor ihm stehend, ansprach: der Unterricht solle beginnen. M. rannte zu seinem Platz, warf sich auf den Stuhl und begann zu kippeln. Er zeigte wenig Abweichungen von dem oben beschriebenen typischen Verhalten hyperaktiver Kinder. Ich bemerkte, daß er offenbar viel Bestätigung vom Lehrer brauchte: mit seinen Arbeitsblättern ging er immer wieder hin und fragte, ob er es bis dahin gut gemacht hätte. Übrigens schien es in dieser Klasse üblich zu sein, daß die Kinder aufstehen und herumlaufen durften – solange sie nicht die anderen beim Lernen behinderten. Das war eine nicht nur für M. streßabbauende Regelung. So konnte der erhöhte Bewegungsdrang dieser Kinder kanalisiert werden, ohne das allzu große Störungen im Unterrichtsablauf entstanden. Seine richtigen Ergebnisse wurden vom Lehrer sehr gelobt, während er bei falsch gelösten Aufgaben nur die Anregung zum erneuten Versuch gab. Tatsächlich konnte M. die ganze Stunde über gut mitarbeiten. Um auf die relativ kurze Konzentrationsspanne dieser Kinder einzugehen, teilten die Lehrer den Unterricht in 10- bis 20minütige Abschnitte mit wechselnden Themen; als Abschluß gab es “Bankrücken”, ein Wettrechenspiel mit viel Bewegung. Hier zeigte M., daß er gut rechnen kann: ziemlich häufig konnte er weiterrücken, da er als erster das richtige Ergebnis nannte.

In der großen Pause hatte die Lehrerin dann Zeit, mit uns über M. und seine Position in der Klasse, die Art des Umgangs von Lehrern und Erziehern an dieser Schule mit den verhaltensauffälligen Schülern. Sie fragte uns, was genau wir mit M. machen würden. Psychomotorik würde auch in dieser Schule angeboten, doch sie hätte schon den Eindruck, daß M. unseren Angeboten zugänglicher sei. Die Psychomotorikgruppe der Schule wäre auch mit 12 Schülern eigentlich zu groß, gerade mit verhaltensauffälligen Kindern wäre das kaum machbar. Am Tag nach der Therapie in unserer Praxis wäre M. etwas ruhiger und könne sich besser konzentrieren.

A. beschrieb kurz, welche Angebote bei uns bereitstünden, wie ein typischer Stundenverlauf wäre. Positiv überrascht war ich, als A. mich bat, doch auch meine Wahrnehmungen aus den letzten Wochen zu schildern. Nicht leicht, darauf war ich nicht vorbereitet! Also beschrieb ich die Veränderungen, die M. meiner Ansicht nach seit Beginn meines Praktikums gemacht hatte.

Unser Gespräch war insgesamt sehr kurz, da sich die viele Übereinstimmungen zeigten, die Arbeit der Schule und der Praxis unserer Ansicht nach recht gut ergänzten; der übermäßige Bewegungsdrang soll ausgelebt werden können, jedoch in einer Form, die neue, tiefere Sinneserfahrungen ermöglicht. Weiterhin setzen die Lehrer und auch wir in der Praxis klare Grenzen, schaffen überschaubare Strukturen, die M. einen nicht zu engen, aber dennoch fest umrissenen und gut sichtbaren Handlungsrahmen vorgeben.

3.3.3Assistententätigkeit an einem Beispielfall

Ich möchte zur Demonstration eine Beispielstunde aufgreifen, die ungefähr in der Mitte meines Praktikums stattfand. Wieder war dies eine Therapieeinheit, bei der ich A. assistierte. Die entscheidende Überlegung bei der Vorbereitung dieser Stunde war, daß wir in erster Linie – bestärkt unter anderem durch den Schulbesuch – die taktile Wahrnehmung in Verbindung mit feinmotorischer und grobmotorischer Koordination fördern wollten. Ein Weg für eine verbesserte Integration von taktilen und propriozeptiven Reizen ist die “Cremerutsche”. M. kannte im Gegensatz zu T., seinem Kompagnon, diese schon und hatte sie gut angenommen: es machte ihm sogar großen Spaß, auf dem Creme- Wasser- Gemisch umherzurutschen. Vielleicht sollte ich zuerst beschreiben, worum es sich eigentlich bei der “Cremerutsche” handelt.

Für die “Cremerutsche legten A. und ich - in diesem Fall war es im großen Raum des Seitenflügels - eine große Turnmatte flach auf den Boden. M. und T. zogen sich Badehosen an, und ich besprach mit ihnen die Regeln, die in Bezug auf die Rutsche bestehen: die Creme durfte nur mit der Matte und ihren Körpern in Berührung kommen, mit Creme sollte nicht geworfen werden, und die beiden sollten aufeinander achtgeben, um sich auf der glitschigen Bahn nicht umzuwerfen. Ich versuchte, speziell M. bei der Klärung der Modalitäten einzubeziehen, da er die Rutsche schon kannte und sich auch an einige Details erinnern konnte. Daraufhin wurde die Matte von den beiden Kindern mit einfacher Hautcreme eingeschmiert; sie brauchten dafür fast eine ganze große Dose. M.s Eltern hatten sie mitgebracht, denn die finanziellen Mittel der Praxis sind selbst für Verbrauchsmaterialien recht begrenzt.

Sie kicherten und verschmierten immer größere Cremekleckse auf der Matte und ihren Körpern: M. versuchte, Bilder zu malen, indem er mit den Fingernägeln auf der inzwischen deckenden weißen Schicht herumkratzte. Er malte eine Sonne, erinnerte sich dann an die Autofahrt zum Therapieraum und malte mehrere sich kreuzende “Straßen” in die Creme. Er benutzte seine Hände als “Autos”, um auf diesen Straßen herumzufahren. Damit verbrachte er immerhin fünf genüßliche Minuten, in denen er den “Schnee” immer wieder von der Straße schob oder von den “Autos” abkratzte. Begleitet wurde das Spiel von Schmatzgeräuschen und Autogebrumm. Auffällig war, daß er sich anfangs nicht hinsetzen oder hinknien wollte: er hockte auf der Matte, obwohl ihn diese Haltung beim Spiel behinderte. Erst nach einigen Minuten kniete er sich hin. Dann forderte er T. auf, das gleiche zu machen; dieser wollte allerdings lieber gleich rutschen und war schon dabei, sich den ganzen Körper einzucremen. M. lachte über den weißen Clown”, der ihm gegenüberstand, und tat es ihm nach. Daraufhin spritzte die Therapeutin A. etwas Wasser auf die Matte, was diese in eine äußerst glitschige Rutschbahn verwandelte. Die beiden begannen, wild darauf herumzurutschen; besonderen Spaß schienen sie bei dem Versuch zu haben, stehen zu bleiben beziehungsweise laufend hin- und zurück zu kommen. Das gelang fast nie, meist fielen sie schon beim ersten Schritt lachend um. Durch die hohe Gleitfähigkeit war es nicht einfach für die beiden, nicht über den Mattenrand hinüberzurutschen. M. hatte inzwischen keine Aversionen gegen Sitzen oder knien auf der rutschigen Oberfläche.

Ich hatte eine Idee, wie ich es den beiden noch schwerer machen könnte, in der Vertikalen zu bleiben: ich legte eine große PVC- Rolle (~50 cm Durchmesser) liegend unter eine Seite der Matte, so daß sich an der Oberfläche ein Berg formte. Beim Versuch, dort hinaufzukommen, kamen die beiden Kinder noch mehr in Bewegung und hatten sehr viel Freude am Hinfallen. Erst nachdem ein Teil des Wassers verdunstet war, gelang es M., nach oben zu kommen. Er reichte T. die Hand, um ihn mit hinaufzuziehen – und rutschte dabei wieder ab! Nach einigen weiteren Versuchen saßen beide auf dem Hügel, verschwitzt und lachend. A. goß aus einem kleinen Gefäß warmes Wasser in die Hände der Kinder, und diese verteilten es auf der Schräge vor sich. Hinunter wollten sie nicht. Wir wollten die beiden aber in Bewegung halten, deshalb hob ich die Matte am Berg noch ein Stückchen höher. M. und T. verloren den Halt und glitten nach unten. M. schrie “oh, Du bist gemein”, quietschte dabei vor Vergnügen und versuchte, die nun wieder sehr glatte Schräge hochzukrabbeln. Es dauerte eine Weile, bis er es geschafft hatte. Er rief “noch mal Wasser, und dann sollst Du wieder das machen, hochheben”. Ich wartete noch, bis T. oben war, dann konnten sie wieder Wasser verteilen. Ich hob die Matte mit einem Ruck hoch, so daß beide mit viel Schwung hinuntersausten. Zum Glück war A. an das andere Ende der Matte gegangen, um sie dort aufzufangen. Sie wären sonst über den Rand hinausgerutscht. Dieses Spiel wiederholten wir noch mehrmals.

Ungefähr fünfzehn Minuten vor dem Ende der Stunde sagte ich, es könne jeder noch dreimal rutschen, dann müßten wir die Matte und sie selbst saubermachen. M. maulte etwas, “kann doch bis zum nächsten Mal bleiben”, setzte sich dann aber auf das Handtuch, welches ich schon bereitgelegt hatte. Ich wollte noch ein wenig an seiner Tiefensensibilität arbeiten ließ mir einen Arm geben. Mit den Worten “mal sehen, wie glitschig Du noch bist”, ergriff ich den Arm nahe der Schulter mit beiden Händen und zog mit festem Druck, bis seine Hand aus meinen Händen flutschte. Ich wiederholte das noch einmal und ging dann zum anderen Arm über. Die Beine behandelte ich in gleicher Weise. Er genoß das sichtlich, meinte jedoch, ich sollte viel mehr drücken; dabei drückte ich schon mit aller Kraft! Dann rieb ich ihn mit einem zweiten Handtuch langsam ab, bis an seinem Körper und Gliedmaßen keine Creme mehr war. Nun zog ich noch einmal in der schon beschriebenen Weise an Armen und Beinen. Diesmal drückte ich für ihn am Anfang zu fest, es tat ihm weh, obwohl ich weniger Kraft einsetzte als vorhin. Die Haut war empfindlicher ohne den Schutz der Creme, aber auch die propriozeptive Wahrnehmung schien mir verändert. Selbst ohne den die Hautoberfläche besonders belastenden Zug war die Druckempfindlichkeit geringer als zuvor.

Zum Schluß, es blieben nicht einmal fünf Minuten, säuberten wir vier mit Handtüchern die Matte. M. wirkte erschöpft, sprach entgegen seiner Gewohnheit kaum, langsamer und leiser. Nach ein paar Wischbewegungen mit seinem Handtuch warf er es mit den Worten “schon fertig, ist alles sauber” neben die Matte, verabschiedete sich mit “tschüs” und ging auf die Toilette. Ich ließ ihn gehen, denn er war sehr viel in Bewegung gewesen, und auch beim Saubermachen hatte er ja, wenn auch nicht allzuviel, mitgeholfen.

3.3.4Auswertung der Assistenztätigkeit

Nach dieser Stunde bekam ich ein sehr positives Feedback von der Therapeutin; besonders erwähnenswert fand sie die Selbstverständlichkeit, mit der ich eigene Ideen aussprach und ausführte. Weiterhin meinte sie, daß wir uns inzwischen gut ergänzten und eine echte Arbeitsteilung entwickelten.

Ich hatte noch einige Fragen zu M.s Verhalten. Seine relative Ruhe am Schluß, seine vollkommene Erschöpfung waren mir in dieser Form noch nicht begegnet. Hing das tatsächlich mit der verbesserten Reizwahrnehmung beziehungsweise Reizverarbeitung zusammen? Eigentlich wußte ich um die Zusammenhänge, aber ganz sicher war ich mir doch nicht. Hilfreich beim tieferen Verständnis war für mich eine Aufstellung der Sinne und sozialen Bereiche, die in der eben durchgeführten Stunde verstärkt angesprochen wurden; diese gebe ich hier wieder.

Sinneserfahrungen: taktile Wahrnehmung, Propriozeption, Gleichgewichtssinn, motorische Koordination, Raum- Lage- Empfinden, Grob- und Feinmotorik (besonders beim Malen), visuelle Reize

Soziale Erfahrungen: Interaktion mit Erwachsenen, Interaktion mit Gleichaltrigen (soziale Handlungskompetenz), Regeln aushandeln und einhalten, Überwindung von Schamgefühlen, Entwicklung eines Empfindens für die Schmerzgrenze anderer, Freude allein und zu zweit genießen

Diese Liste ist sicher nicht vollständig, aber ich denke, daß die wichtigsten Bereiche aufgeführt wurden. Die Komplexität der Sinnesreizungen, der neuen und aufgefrischten Erfahrungen verändert die Integration der Wahrnehmung. Der Körper reagiert dann, als ein Schutz vor Reizüberflutung, mit Ermüdung. Auch ist die Cremerutsche an sich körperlich sehr anstrengend und demzufolge ermüdend.

Im Rückblick wird deutlich, daß sich meine Stellung schon in dieser Phase stark verändert hat. Aus der stillen, passiven Rolle heraus bin ich aktiv geworden, habe teilgenommen an den Handlungen im Raum. In dieser Veränderung bin ich bestärkt worden durch die überaus positive Rückkopplung der Therapeuten und Dr. Hartwigs.

3.4Kotherapeutische Phase

3.4.1Allgemeines

Ähnlich fließend wie der Übergang von der Hospitation zur Assistenz war auch der Wechsel vom Assistieren zu einer kotherapeutischen Handlungsweise. Diesmal gingen die Veränderungen nicht so schnell vonstatten, auch sind die Grenzen nicht so scharf zu ziehen. Immer häufiger gab es Stunden, in denen ich zeitweise die Federführung übernahm; anfangs wurde ich gefragt, ob ich einen Teil der Stunde übernehmen wollte. Ähnlich oft hatte ich eine Idee und setzte sie eigenverantwortlich um, ohne im voraus die Einzelheiten abzusprechen. Es reichte tatsächlich aus zu sagen, daß ich gerne etwas probieren möchte, und bekam sozusagen freie Hand. Ich spürte auch in den “normalen” Stunden, wie mir immer mehr Freiheiten in der Mitgestaltung gelassen wurden, und versuchte, diese Freiräume gut zu nutzen.

Die Kinder nahmen mich und meine Vorschläge gern an. Je klarer meine Vorstellungen, meine Ziele waren, desto besser wurden sie übernommen. Daraus folgte, daß mir gerne die Gestaltung längerer Abschnitte überlassen wurde, bis ich auch ganze Stunden durchführte – von der Begrüßung der Kinder bis zum Abschlußspiel und der Verabschiedung. Die Therapeuten waren zwar anwesend, um im Notfall eingreifen zu können (und aus versicherungstechnischen Gründen!), hielten sich aber, soweit die Kinder das überhaupt zuließen, im Hintergrund. Das bedeutete nicht, daß sie in die Hospitation wechselten, sie waren am Geschehen weiterhin beteiligt. Nur hatte ich jetzt, so wie sie früher in der Assistenzphase, “den Hut auf”.

Zweierlei war für mich besonders positiv: erstens bekam ich so sehr schnell Handlungskompetenz, denn jede Zweideutigkeit, jeder kleine Fehler fiel auf mich zurück, und ich konnte daraus lernen. Und zweitens erhielt ich so noch detailliertere Rückmeldungen, denn die Therapeuten konnten mich viel besser beobachten, wenn sie die Verantwortung für die Stundengestaltung abgaben. Von Dr. Hartwig bekam ich auch Anregungen und Hilfsangebote, wenn ich im Zweifel war, wie ich mit Problemen umgehen könnte. Als besonders effektiv erwiesen sich die mittäglichen “Küchengespräche”, wenn alle anwesenden Therapeuten, Dr. Hartwig und ich über Schwierigkeiten, Möglichkeiten und Perspektiven sprachen. Dieser fast tägliche Austausch war ideal, um möglichst eng zusammenzuarbeiten und auch, um die eigenen Handlungen zu hinterfragen.

Auch diesen Teil meines Praktikums möchte ich mit einer Beispielstunde tiefergehend beschreiben.

3.4.2Persönliche Erfahrungen mit kotherapeutischer Tätigkeit in der Psychomotorik

Die im folgenden dokumentierte Therapieeinheit erfolgte im letzten Praktikumsmonat. Ich wollte auf den Gleichgewichtssinn eingehen, Propriozeption und den ziemlich schlaffen Muskeltonus ansprechen und vor allem im sozialen Bereich seine Kompetenzen steigern. Auch diesmal würde die Therapeutin A. anwesend sein.

Wir hatten schon einige Tage lang im großen Therapieraum (Seitenflügel) mit der verstellbaren Sprossenwand, der großen Turnmatte und mehreren Seilen eine schräge Ebene aufgebaut. Diese wurde an den Seiten von dem großen Fischernetz begrenzt. Das Netz erstreckte sich auch unter der Schräge. Ebenfalls nutzen wollte ich die Hängematte, die sich mit wenigen Handgriffen diagonal in den Raum hängen läßt. Doch damit wartete ich noch, weil ich wissen wollte, welche Ideen die Kinder vielleicht mitbringen würden.

Nach dem Öffnen der Tür stürzte M., der schon etwas früher gekommen war und deshalb gewartet hatte, in den Raum und kletterte die Schräge hinauf; an einem Seil, das von der Decke hinabhing, schwang er sich wieder hinab und wiederholte dieses Spielchen, bis T. ebenfalls den Raum betrat. Ich bat die beiden, wie üblich, zum Treffen auf einer kleinen Matte neben der Bank. Dort begrüßten wir uns, und ich fragte sie, ob sie auf etwas bestimmtes Lust hätten. T. meinte, “die Hängematte”, und M. war von dem Vorschlag gleich begeistert.

Ich hing die Matte in den Raum, und beide stiegen ein. Ich sagte, wir würden eine Seefahrt machen und ob sie bereit seien. Das waren sie, und so versetzte ich die Matte in Schwingungen, erst langsam, wir verließen den “Hafen”, dann stärker, bis ein “Sturm” aufkam und das ganze “Schiff” durchschüttelte. Ich rief, daß sie sich gut festhalten sollten, um nicht ins Meer zu stürzen (ich möchte betonen, daß ich meine Handlungen verbal begleitete, um die Kinder vorzubereiten und das Interesse an der Geschichte zu halten). M. schrie “noch höher” und “mehr Wellen” – die bekam er auch. Doch dann fuhr das Schiff in voller Fahrt auf ein Riff (A. und ich hielten die Matte mit einem Ruck an). Nun mußten die beiden aussteigen und die “Insel” nach Proviant und Wasser untersuchen, bis ihr Schiff repariert wäre. M. fragte, wo hier eine Insel wäre, doch sein Kompagnon wußte gleich, was ich meinte: das Netz und die Schräge. M. krabbelte den “Inselberg” hinauf und griff sein Spiel mit dem Seil auf und meinte, er würde solange hier warten. Erst nachdem ich nachdrücklich sagte, er könne erst weiterfahren, wenn er das Schiff mitbeladen hätte, half er mit. Die beiden suchten verschiedene kleine Sandsäckchen und Schaumstoffbausteine zusammen und beluden damit das Schiff. Nun ging die Fahrt weiter. Diesmal schüttelte der Sturm das Schiff so stark, daß ihre “Verpflegung” über Bord geschleudert wurde. M. lachte und rief “Hilfe, wir ertrinken”, ließ sich aus dem nun weniger schaukelnden Gefährt fallen und sammelte die herausgefallenen Gegenstände wieder ein. Auch T. stieg aus, und M. hatte die Idee, die Höhlen der Insel zu untersuchen. Damit meinte er den Teil des Netzes, welcher sich unterhalb der Schräge befand.

Die beiden krochen hinein; dazu mußten sie sich mit Händen und Füßen am Netz festkrallen, was M. mit Schmerzenslauten kommentierte. Kaum in der Höhle angekommen, stritten sich die beiden um die Platzverteilung. Jeder behauptete, daß der andere zuviel Platz beanspruchen würde. Ich wartete ein wenig ab, ob die Kinder ohne Vorgabe von außen ihre Meinungsverschiedenheiten beilegen könnten. Als die beiden lauter wurden, fragte ich, ob sie nicht so hinlegen könnten, daß sie sich nicht berührten. Ich würde sie dann zudecken, damit ihnen in der Nacht nicht kalt werde. Und am nächsten Morgen müßten sie wieder zurückfahren, denn ihre Verwandten warteten draußen schon auf die Schatzsucher... M. fragte aufgeregt “was, jetzt schon”, aber dann waren die Seefahrer ruhig und wurden von mir mit einem großen Schwungtuch zugedeckt.

Nach höchstens einer Minute war M. schon wieder aufgewacht und kletterte wieder auf den Inselberg. T. blieb noch etwas länger, stieg dann in die Hängematte. M. folgte ihm, und nun fuhr das Schiff durch einen Orkan zurück. Zwischendurch wurde es noch einmal Nacht (A. löschte das Licht, und das Schiff schaukelte nur noch leicht), und dann lief das Schiff in den Hafen ein. Ich fragte, ob sie noch die Spinne oder Verstecken spielen wollten. “Verstecken” war für beide sofort die Wahl. Suchen sollten die Mütter. M. versteckte sich in der vorhin aufgeführten PVC-Rolle und deckte das Schwungtuch darüber, T. kroch in die Höhle. Die Mütter kamen hinein und durchsuchten den Raum. T. schnaufte so laut, daß seine Mutter ihn schnell fand, M. aber war erstaunlich leise, begann dann aber, mit der Rolle zu wackeln und verriet sich damit. Beide verließen ihre Verstecke und gingen zur Tür. Ich verabschiedete mich von ihnen, A. schloß sich mir an und machte die Tür zu.

3.4.3Auswertung der kotherapeutischen Arbeit

Ich hatte das Gefühl, daß diese Stunde gelungen sei. Von der Therapeutin wurde ich darin bestärkt; sie sagte, daß ich sehr viel gelernt hätte in der kurzen Zeit. Es sei ihr schwergefallen, sich so stark herauszunehmen, aber sie würde es nicht bereuen! So positiven Rückhalt hatte ich dann doch nicht erwartet. Zumal ich bei den Streitigkeiten in der Höhle nicht ganz sicher gewesen war, wie ich die Konfrontation entschärfen könnte.

Es gab jedoch in anderen Stunden auch Situationen, in denen ich nicht weiterwußte oder denen eine Kritik folgte. Mit wachsender Erfahrung verschwanden solche für mich allein ausweglosen Momente recht schnell. Und aus meinen Fehlern konnte ich auch dank der guten Supervision vieles lernen. Insgesamt habe ich in diesem Zeitraum viel Selbstbewußtsein gewonnen.

4Bewertung des Praktikums

4.1Auswertung meiner Tätigkeit

Innerhalb dieser sechs Monate vollzog sich, vor allem in den ersten Wochen, ein rapider Wechsel von einer von Unsicherheit, mangelndem Praxiswissen geprägten passiven Rolle hin zu einer aktiv agierenden, meist sicher handelnden Persönlichkeit. Dieser Wandel wurde auch durch Rückschläge gekennzeichnet, besonders dann, wenn ich mich im Gefühl, genug zu wissen und zu können, zurücklehnen wollte. Gerade hyperaktive oder in anderer Hinsicht auffällige Kinder finden schnell die Schwachpunkte eines Menschen heraus und versuchen, dieses Wissen zu nutzen. Immer wieder mußte ich feststellen, daß andauerndes Lernen wie in wohl allen Tätigkeitsfeldern die Grundlage einer erfolgreichen Arbeit bildet.

4.2Psychomotorik/ Sensorische Integration bei hyperaktiven Kindern

Ausgehend von meinen Erfahrungen kann ich sagen, daß Kindern mit motorischer Unruhe oder auch Teilleistungsschwächen die psychomotorische Therapie durchaus den Umgang mit den eigenen Besonderheiten erleichtern kann. Nicht mehr und nicht weniger soll erreicht werden: es geht bei psychomotorischer Behandlung und Sensorischer Integration weder darum, einen anderen Menschen zu formen, noch um eine Symptombekämpfung wie bei einer rein medikamentösen Therapie. Durch das Ansetzen bei den eigentlichen Problemen der Kinder wird die Selbsterkenntnis gefördert, das Wissen um die eigenen Schwächen und Stärken. So können sie sich kompensatorische Nischen suchen, in denen sie ihre Stärken ausspielen können. Und dennoch werden ihre Problemfelder gefördert. Aber eben nicht durch das Antrainieren von speziellen Fähigkeiten wie Lesen oder Malen, sondern durch die Förderung grundlegender Körper- und Sinnesfunktionen. Ich denke, dieser Ansatz hat sich durchaus bewährt.

Den absoluten Verzicht auf Stimulanzien in dieser Praxis kann ich mangels Erfahrungen nicht bewerten; und die wissenschaftlichen Ergebnisse, ihre Interpretation und die Diskussion ihres Einsatzes sind so sehr emotional geprägt und in ihren Kernaussagen dermaßen divergierend, daß ich mich nicht weiter dazu äußern will.

Wenn ich die Entwicklung des von mir geschilderten Kindes betrachte, stelle ich fest, daß sich in diesem sechsmonatigem Zeitraum einige Verbesserungen abzeichneten. In meiner Wahrnehmung wurde er etwas ruhiger, die Koordination hat sich leicht verbessert. In der Schule gab es ebenfalls positive Leistungs- und Verhaltensänderungen, doch gibt es hier, wie auch zu Hause, häufig Rückschläge. Inwiefern eventuelle familiäre Probleme an diesen beteiligt sind, kann ich nur erahnen; immerhin mußte ich feststellen, daß M. während der kurzzeitigen Arbeitslosigkeit des Vaters nachdenklicher und gleichzeitig unausgeglichener war.

Alles in allem ist Psychomotorik sinnvoll und wirksam, aber natürlich kein Wundermittel. Veränderungen laufen selten rasant ab, meist langsam und mit gelegentlichen Rückschlägen. Oft treten diese bei Veränderungen im gewohnten Umfeld auf, bei der Einschulung, nach dem Wechsel der Kita oder einem Umzug.

4.3Praktikumsort und Betreuung

Meines Wissens nach ist eine pädiatrische Praxis kein klassisches Arbeitsumfeld für den ohnehin recht neuen Beruf des Rehabilitationspädagogen. Insofern ist auch die universitäre Vorbereitung auf die größtenteils praktische Tätigkeit nicht ausreichend. Diesen Anspruch kann sie auch nicht erheben. Im Rückblick kann ich aber sagen, daß ich diese neuen Erfahrungen nicht missen möchte und mir auch eine Tätigkeit in diesem Arbeitsumfeld gut vorstellen kann. Immerhin ist in dieser Praxis eine Pädagogin tätig, und die hier praktizierte interdisziplinäre Vernetzung könnte auch einem gelernten Rehabilitationspädagogen einen professionellen Einstieg erleichtern. Leider sind viele interessante Weiterbildungen in praktischen therapeutischen Fähigkeiten auf medizinische Berufe beschränkt. Doch es gibt auch für Pädagogen offene Angebote.

Die Betreuung im Praktikum war, wie hoffentlich deutlich zum Ausdruck kam, sehr gut. Der ständige Austausch zwischen allen therapeutisch tätigen Mitarbeitern und Dr. Hartwig war die beste Unterstützung, die ich mir wünschen konnte. Die häufige Rückmeldung hat mir die Bestimmung meines Standortes erleichtert. Was tatsächlich fehlte, war eine Anbindung an die universitäre Begleitung.

4.4Zusammenfassung

In gewisser Weise entsprechen die Ergebnisse meines Praktikums genau meinen Erwartungen: ich wollte vor allem praktische Fähigkeiten in therapeutischer Arbeit mit Kindern erwerben, und dieser Wunsch hat sich erfüllt. Ungewohnt für meinen universitär geprägten pädagogischen Blick war die – für eine Arztpraxis selbstverständliche – medizinisch ausgerichtete Betrachtung von auffälligen Kindern, das andere Vokabular, ein mehr rationales, pragmatisches Menschenbild. Doch die Umgewöhnung fiel mir leicht; schwerer war manchmal die Umsetzung von Beobachtungen und von angelesenem Wissen in eigene Handlungen. Aber ich wußte vorher, daß ich trotz meiner längeren Mitarbeit in der Schwimmhalle und zweier eigener Kinder einen großen Nachholbedarf in Handlungskompetenz hatte.

Jedem Pädagogen, der im Bereich der Förderung hyperaktiver, verhaltensgestörter oder in anderer Hinsicht auffälliger Kinder ein Tätigkeitsfeld sucht, kann ich einen tieferen Einblick in speziell diese pädiatrische Praxis empfehlen. Gerade die enge und hierarchisch flache Vernetzung ist bei dem unklaren Ursachengeflecht sowie der komplexen und unterschiedlichen Symptomhaftigkeit ein bemerkenswerter Vorteil für die Förderung dieser Kinder und eine sinnvolle Ergänzung einer universitären Ausbildung.




5Literaturliste

Ayres, A. Jean: Bausteine der kindlichen Entwicklung: Die Bedeutung der Integration der Sinne für die Entwicklung des Kindes. – Berlin; Heidelberg; New York; Tokyo: Springer 1992

Kiphard, Ernst J.: Motopädagogik. – Dortmund: Borgmann 1980/ 4. Auflage 1990

Neuhaus, Cordula: Das hyperaktive Kind und seine Probleme. – Berlin: Urania- Ravensburger 1999

Passolt, Michael (Hrsg): Hyperaktive Kinder: Psychomotorische Therapie. – München/ Basel: E. Reinhardt 1993

Phillippi- Eisenburger, Marianne: Motologie: Einführung in die theoretischen Grundlagen. – Schondorf: Hoffmann 1991

Ruf-Bächtinger, Lislott: Das frühkindliche psycho- organische Syndrom: minimale zerebrale Dysfunktion, Diagnostik und Therapie. – Stuttgart/ New York: Thieme 1987

Stehn, M./ Eggert, D.: “Ganzheitlichkeit” zur Verwendung gestalt- und ganzheitspsychologischer Konzepte in der Psychomotorik. Motorik 10 (1987) 1, 4-18

Tietze- Fritz, Paula: Integrative Förderung in der Früherziehung: Entwicklungsgefährdete Kinder und ihre psychomotorischen Fähigkeiten. – Dortmund: Borgmann 1997

Zimmer, Renate/ Cicurs, Hans: Psychomotorik: Neue Ansätze im Sportförderunterricht und Sonderturnen. – Schondorf: Hoffmann 1995


1 PET ist ein Test???????????????????


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